„Politische Setzung ohne operative Architektur“
Autor: Thomas H. Stütz
Chief Global Strategist – MOC Strategic Institute
Berlin/Washington/Middle East, 30. September 2025
Einleitung
Donald Trump hat in Washington einen 20-Punkte-Plan zur Beendigung des Gaza-Krieges vorgestellt, in einigen Medien auch als 21 Punkte kolportiert [¹]. Israel signalisierte sofort Zustimmung [²], während Hamas erklärte, den Vorschlag bislang nicht offiziell erhalten zu haben und daher auch keine Zustimmung erteilen zu können [³].
Schon diese Kommunikationsdifferenz zeigt, dass die politische Inszenierung (Trump und Netanjahu) und die operative Realität (Hamas) weit auseinanderliegen.
Auf den ersten Blick erscheint der Plan wie eine Mischung aus Waffenstillstand, Wiederaufbauprogramm und internationaler Übergangsverwaltung.
Doch bei näherer Betrachtung treten massive Brüche zutage: rechtliche Unklarheiten, operative Widersprüche und fehlende Legitimationsgrundlagen.
Im Folgenden werden die 13 zentralen Unschlüssigkeiten und Schwachstellen des Plans herausgearbeitet.
Analyse – 13 Bruchstellen des Trump-Plans
1. Governance-Legitimität
Ein von Trump persönlich geleiteter „Friedensrat“ zur Verwaltung Gazas hat keinerlei völkerrechtliche Grundlage [⁴]. Eine Übergangsregierung ohne demokratische Legitimation der Palästinenser unter US-Führung ist politisch wie rechtlich als kritisch zu bewerten.
2. 72-Stunden-Fessel bei Geisel- und Gefangenen-austausch
Die starre Vorgabe, dass binnen 72 Stunden alle Geiseln zurückgeführt und parallel 250 lebenslang Inhaftierte sowie 1.700 weitere Palästinenser freigelassen werden sollen, ist operativ nicht umsetzbar [²]. Sie schafft ein unrealistisches Sequenzdilemma und unterminiert das Vertrauen beider Seiten.
3. Amnestie für Hamas-Mitglieder
Die vorgesehene Amnestie für entwaffnete Hamas-Kämpfer kollidiert mit Terrorlistungen durch USA und EU sowie mit israelischem Strafrecht [⁵]. Ohne völkerrechtliche Brücken bleibt dies ein juristisches Vakuum.
4. „Unabhängige“ Hilfsverteilung vs. Grenzrealität
Die Hilfe soll durch UN und Rotes Kreuz „ohne Einmischung der Konfliktparteien“ verteilt werden [¹]. Gleichzeitig bleiben Grenz- und Sicherheitskontrollen aber in israelischer und ägyptischer Hand, ein klarer Widerspruch.
5. Internationale Stabilisierungstruppe ohne Mandat
Eine ISF („International Stabilization Force“) soll Gaza sichern [⁶]. Doch es fehlt ein klares Mandat (UN, NATO oder ad hoc?), ebenso Zusagen von Truppenstellern. Erfahrungsgemäß ist genau dies der Stolperstein.
6. Demilitarisierung ohne Verifikationsarchitektur
Das Ziel der vollständigen Entwaffnung bleibt Absichtserklärung. Ohne funktionierende Kataster, Kontrollmechanismen und Sanktionen ist eine Demilitarisierung weder überprüfbar noch durchsetzbar [⁴].
7. „New Gaza“ als ökonomische Hülle
Der Plan propagiert eine Sonderwirtschaftszone und Aufbauinitiativen [⁵], blendet aber die politische Statusfrage vollständig aus. Damit droht eine Dauer-Übergangsverwaltung ohne klare Perspektive.
8. Regionale Garantien – leere Formeln
„Regionale Partner“ sollen Hamas zur Einhaltung zwingen [³]. Doch weder werden konkrete Staaten benannt, noch Mechanismen, wie Verstöße sanktioniert würden.
9. Sequencing-Paradoxon
Der Plan koppelt sofortigen Waffenstillstand, eingefrorene Frontlinien, Geiselrückgabe, IDF-Rückzug und gleichzeitigen ISF-Aufbau [²]. Das erfordert maximales Vertrauen, das faktisch nicht existiert.
10. Innenpolitische Unplausibilitäten
Für Israel wäre die Freilassung von hunderten Terrorverurteilten politisch kaum tragbar [²]. In den USA wiederum wirkt eine von Trump persönlich geleitete Übergangsbehörde wie ein parteipolitischer Machtzugriff [¹].
11. Unklare Versionierung: 20 oder 21 Punkte
Dass unterschiedliche Fassungen (20 oder 21 Punkte) zirkulieren [¹][⁷], schwächt den Eindruck eines durchverhandelten, reifen Plans. Es wirkt eher wie ein PR-Move.
12. Auslassungen mit Eskalationspotenzial
Der Plan blendet die Westbank, Jerusalem, die Siedlungsfrage, Blockade- und Luftraumregime sowie Fragen von Kriegsverbrechen oder Transitional Justice aus [⁸]. Genau diese Punkte sind jedoch konfliktentscheidend.
13. Kommunikationsdissonanz
Israel meldete Zustimmung [²], Hamas erklärte Nicht-Erhalt [³]. Schon diese widersprüchliche Kommunikation zeigt die fragile Basis des gesamten Projekts.
Fazit
Trumps Gaza-Plan enthält klassische Elemente – Waffenstillstand gegen Geiselrückgabe, internationale Truppe, technokratische Übergangsverwaltung und Sonderwirtschaftszone.
Doch zentrale Fragen bleiben unbeantwortet:
Wer hat das Mandat?
Wer garantiert die Umsetzung?
Wie wird Demilitarisierung verifiziert?
Wie wird die palästinensische Selbstbestimmung eingebettet?
Der Plan ist damit weniger ein umsetzungsfähiges Friedensmodell als vielmehr eine politische Setzung, mit starker Inszenierung, aber ohne operative Architektur.
Seien wir über den weiteren Fortgang gespannt.
Thomas H. Stütz
Chief Global Strategist
Quellenverzeichnis:
[¹] Politico – Trump touts Israel’s approval of his Gaza peace plan. Hamas has not agreed. (29.09.2025)→ https://www.politico.com/news/2025/09/29/trump-touts-peace-plan-for-israel-hamas-has-not-agreed-00584857 [²] Reuters – Netanyahu says he supports Trump’s peace proposal to end war in Gaza (29.09.2025)
→ https://www.reuters.com/world/middle-east/netanyahu-says-he-supports-trumps-peace-proposal-end-war-gaza-2025-09-29/ [³] Al Jazeera – Trump proposes 20-point plan to end war in Gaza (29.09.2025)
→ https://www.aljazeera.com/news/2025/9/29/trump-and-netanyahu-discussed-proposal-for-ending-war-in-gaza [⁴] Times of Israel – Full text: Trump’s ‘Comprehensive Plan to End the Gaza Conflict’
→ https://www.timesofisrael.com/full-text-trumps-comprehensive-plan-to-end-the-gaza-conflict/ [⁵] ABC News – What is Donald Trump’s peace plan for Gaza? (30.09.2025)
→ https://www.abc.net.au/news/2025-09-30/what-is-donald-trump-peace-plan-for-gaza/105832748 [⁶] Reuters – Trump to push proposal for elusive Gaza peace in Netanyahu talks (29.09.2025)
→ https://www.reuters.com/world/americas/trump-push-proposal-elusive-gaza-peace-netanyahu-talks-2025-09-29/ [⁷] Wikipedia – Trump 21-Point Gaza Peace Plan
→ https://en.wikipedia.org/wiki/Trump_21-Point_Gaza_Peace_Plan [⁸] Reuters – Trump secures Netanyahu’s agreement to Gaza peace proposal, but doubts remain (29.09.2025)
→ https://www.reuters.com/world/middle-east/israeli-forces-advance-ahead-trump-netanyahu-gaza-war-talks-2025-09-29/
Glossar:
Ad hoc
Lateinisch für „zu diesem Zweck“. Gemeint sind Maßnahmen oder Strukturen, die kurzfristig und nur für eine spezielle Situation geschaffen werden.
Amnestie
Juristischer Begriff für eine staatlich angeordnete Straffreiheit oder Begnadigung. Im Kontext bedeutet es: Hamas-Mitglieder würden trotz begangener Straftaten nicht strafrechtlich verfolgt, wenn sie ihre Waffen niederlegen.
Demilitarisierung
Prozess der Entwaffnung einer Region oder Organisation. Ziel: Entfernung von Waffen, Auflösung militärischer Strukturen und Verbot von Neurüstung.
Friedensrat („Board of Peace“)
Von Trump vorgeschlagene internationale Übergangsbehörde, die Gaza verwalten und kontrollieren soll – ohne demokratische Wahl durch die Palästinenser.
Frontlinien einfrieren
Militärischer Begriff: Der aktuelle Stand der Kämpfe wird festgeschrieben, ohne dass eine Seite weitere Gebietsgewinne macht.
Gefangenenaustausch
Diplomatische Praxis, bei der Kriegsparteien eigene Gefangene oder Geiseln freilassen, oft gekoppelt an Bedingungen oder Quoten (z. B. Verhältnis von Geiseln zu Häftlingen).
Internationale Stabilisierungstruppe (ISF – International Stabilization Force)
Vorgesehene multinationale Truppe zur Sicherung Gazas. Aufgabe: Ausbildung palästinensischer Polizeikräfte, Sicherung von Grenzen und Unterstützung des Wiederaufbaus. Mandat, Zusammensetzung und Einsatzregeln sind bislang unklar.
Kataster
Verwaltungssystem zur Registrierung von Besitz oder Ressourcen. Im Kontext: eine Art Waffenregister, das zur Kontrolle einer Demilitarisierung nötig wäre.
Mandat
Rechtliche Grundlage und Befugnis, mit der eine internationale Mission (z. B. von der UNO) ausgestattet wird. Ohne Mandat ist der Einsatz völkerrechtlich fragwürdig.
NATO (North Atlantic Treaty Organization / Nordatlantikpakt-Organisation)
Militärisches Verteidigungsbündnis von aktuell 32 Mitgliedstaaten (Stand 2025), gegründet 1949. Aufgabe: kollektive Verteidigung gemäß Artikel 5 des NATO-Vertrags.
Operativ
Bezieht sich auf die praktische Durchführung und Umsetzung, im Gegensatz zu rein strategischen oder politischen Absichtserklärungen.
Sequencing
Englisch für „Reihenfolge“. Gemeint ist die Abfolge einzelner Schritte in einem Friedensplan (z. B. Waffenstillstand → Geiselrückgabe → Rückzug der Truppen).
Sonderwirtschaftszone (SEZ)
Geographisch abgegrenztes Gebiet, in dem besondere wirtschaftliche Regeln gelten, etwa Steuervergünstigungen oder vereinfachter Handel. Ziel: Investitionen und Wachstum anziehen.
Transitional Justice (Übergangsjustiz)
Rechtliche und politische Mechanismen (Gerichte, Wahrheitskommissionen), die nach einem Konflikt Fragen von Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen aufarbeiten.
UNO (United Nations Organization / Vereinte Nationen)
Internationale Organisation mit Sitz in New York, gegründet 1945. Hauptaufgabe: Wahrung von Frieden und Sicherheit, Entwicklung internationaler Zusammenarbeit und Förderung der Menschenrechte.
Völkerrechtliche Grundlage
Die rechtlich verbindliche Basis im internationalen Recht (z. B. durch UN-Resolutionen), die Maßnahmen wie Mandate, Truppenentsendungen oder Übergangsverwaltungen legitimiert.