Strategiepapier Zukunftscorps Bundeswehr

Lesedauer 5 Min.

Staatlicher Dienstweg statt Transferabhängigkeit

„Ein Strategiemodell zur intelligenten Verknüpfung von Sozialpolitik, Sicherheitsarchitektur und nationaler Resilienz“

Autor: Thomas H. Stütz
Chief Global Strategist – MOC Strategic Institute
Berlin, im Juli 2025

Executive Summary

Die Bundeswehr steht vor einem strukturellen Personaldefizit, während der Sozialstaat Millionen Menschen durch das Bürgergeld alimentiert, ohne dass daraus systemisch greifbare Perspektiven entstehen. Dieses Strategiepapier entwickelt einen neuen Ansatz:

Die Bundeswehr und ihre anhängenden Organisationen (Sanitätsdienst, Logistik, Katastrophenschutz, Heimatschutz, Cyberabwehr) werden als staatliche Arbeitgeberplattformen begriffen, über die geeignete Bürgergeldempfänger in einen qualifizierenden Dienstweg integriert werden.

Statt passiver Transferleistungen entsteht so ein strukturierter Beitrag zur nationalen Sicherheit und zur individuellen Entwicklung.

Die strategische Synergie besteht darin, dass zwei staatlich herausfordernde Bereiche – Sozialpolitik und Sicherheitsarchitektur – nicht länger getrennt gedacht, sondern koordiniert aktiviert werden: Finanzielle Mittel werden nicht nur umverteilt, sondern in Resilienz und Qualifizierung reinvestiert.

Das Modell setzt auf rechtssichere, transparente und sozialverträgliche Strukturen und soll Deutschland zur Blaupause für ein Europa machen, das Souveränität und Sozialstaat neu denkt.

1. Ausgangslage

  • Die Bundeswehr verzeichnet einen chronischen Mangel an Mannschaften und Unteroffizieren bei gleichzeitiger Überbesetzung im Offiziersbereich. Die Personalpyramide ist kopflastig.
  • Über 5,5 Millionen Menschen in Deutschland erhalten Bürgergeld; davon sind rund 900.000–1.000.000 arbeitsfähige Erwachsene im erwerbsfähigen Alter ohne Beschäftigung.
  • Klassische Aktivierungsprogramme zeigen nur begrenzte Wirkung. Es fehlt an Disziplinsträgern, strukturellen Rahmenbedingungen und sinnstiftenden Perspektiven.
  • Der gesellschaftliche Konsens über das Verhältnis von Pflichten und Leistungen erodiert, während die außenpolitischen Sicherheitsrisiken zunehmen.
  • Gleichzeitig wächst der Bedarf an Dienstkräften im Bereich Cyberabwehr, Versorgung, Logistik, Sanitätswesen, Schutz kritischer Infrastrukturen und Territorialverteidigung – auch im Inneren.

Schlussfolgerung: Ein isolierter Blick auf Sozialpolitik oder Sicherheitsarchitektur verfehlt das strategische Ziel. Der Staat braucht neue Integrationsmechanismen über Ressortgrenzen hinweg.

2. Strategische Leitidee

Das „Zukunftscorps Bundeswehr“ versteht sich als strukturiertes Dienstmodell für geeignete Bürgergeldempfänger im Alter zwischen 18 und 35 Jahren, das staatsfinanzierte Unterstützung in staatsdienliche Tätigkeit überführt – nicht als Strafe, sondern als Ermöglichung.

Die Bundeswehr und ihre angegliederten Einheiten fungieren als staatlicher Integrator, der:

  • Disziplin und Struktur vermittelt,
  • Qualifikation und Aufstiegschancen bietet,
  • einen realen Beitrag zur öffentlichen Sicherheit leistet,
  • sowie soziale Identifikation durch Teilhabe stiftet.

Dieses Modell hebt die Bundeswehr von einem reinen Einsatzheer zu einem sozialen Ordnungsanker – und verschiebt den Diskurs von Zwangsdienst zu Zukunftsarchitektur.

Multipler Synergiehebel:

  • Sozialpolitisch: Reduktion von Langzeitpassivität durch strukturierte Reintegration
  • Sicherheitspolitisch: Stärkung der personellen Einsatzbereitschaft im Innern und Äußeren
  • Wirtschaftlich: Ausbildung von Fachkräften in sicherheitsrelevanten Bereichen
  • Gesellschaftlich: Wiederherstellung des Zusammenhangs zwischen Leistung und Gegenleistung
  • Psychologisch: Transformation von Ohnmacht in Selbstwirksamkeit

3. Juristische Machbarkeit

Die verfassungsrechtliche Grundlage ist über Artikel 12a GG („Wehrpflicht“) sowie den Gleichheitsgrundsatz (Artikel 3 GG) zu wahren. Das Modell sieht keine Zwangsverpflichtung einzelner Gruppen vor, sondern eine gesetzlich definierte Pflichtoption, die bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen greift:

  • Alter: 18–35 Jahre
  • Staatsangehörigkeit: Deutsch oder gleichgestellter Status
  • Gesundheit: Tauglichkeitskriterien analog freiwilligem Wehrdienst
  • Familiäre Umstände: Berücksichtigung von Alleinerziehenden, Pflegeverpflichtungen

Drei Gestaltungsvarianten:

  1. Universelles Zukunftsdienstmodell: Gilt für alle Erwerbslosen unter 35 Jahren – inkl. ALG I und Bürgergeld
  2. Spezialmodell für Bürgergeldempfänger: Fokus auf Transferleistungsbezieher mit zusätzlichem Bonusmechanismus
  3. Freiwillige Variante mit Leistungsanreizen: Keine Verpflichtung, aber überdurchschnittliche Entlohnung + Ausbildungsbonus

Gesetzliche Grundlage: Für die Einführung des Zukunftscorps ist ein eigenes Bundesgesetz erforderlich – ein „Zukunftsdienstgesetz“ (ZDG). Es muss durch den Bundestag mit einfacher Mehrheit verabschiedet werden und folgende Elemente beinhalten:

  • Rechtsgrundlage für Dienstverhältnisse, Rechte und Pflichten
  • Verknüpfung mit SGB II (Bürgergeld) und SGB III (Arbeitsförderung)
  • Schutzvorschriften für besonders vulnerable Gruppen
  • Dienstzeitregelungen, Vergütung, Austrittsoptionen

Das ZDG wäre ressortübergreifend zu erarbeiten (BMF, BMVg, BMAS, BMI) und bedarf einer breiten politischen Mehrheit, um gesellschaftlich getragen zu werden. Eine Zustimmung des Bundesrates wäre nicht zwingend erforderlich – eine Einbindung der Länder aber politisch sinnvoll.

Begleitend: Einrichtung eines Ethikbeirats, regelmäßige Evaluierung durch unabhängige Institute, Einbindung des Wehrbeauftragten des Bundestags. Zudem sollte eine „Zukunftsdienstkommission“ eingesetzt werden, analog zur Wehrstrukturkommission, um die fortlaufende Optimierung, Skalierung und Rechtskontrolle zu gewährleisten.

4. Personalökonomisches Wirkmodell

Grundannahmen:

  • Etwa 500.000–900.000 Bürgergeldempfänger sind arbeitsfähig und zwischen 18–35 Jahre alt
  • Ein Pilotjahr mit 10.000 Teilnehmern kann systemisch skaliert werden
  • Lohnkosten: ca. 1.600–1.900 € netto monatlich + Sachaufwand
  • Einsparung Bürgergeld (ca. 563 € + Miete + Heizkosten) = rund 1.200 €/Monat

Mittel- und langfristige Effekte:

  • Reduktion der Bürgergeldkosten bei gleichzeitiger Verstärkung sicherheitsrelevanter Dienste
  • Reaktivierung in den Arbeitsmarkt über Berufsabschlüsse in Bundeswehr-Werken, -Logistikzentren, -Technikbetrieben
  • Schaffung eines Kaders für spätere zivile oder sicherheitspolitische Tätigkeiten (Katastrophenschutz, Polizei, THW)
  • Rückführung von „verlorenen Jahrgängen“ in produktive Staatsdienste

Multiplikator-Effekt:

  • Pro investiertem Euro entstehen 1,4–1,8 Euro volkswirtschaftlicher Nutzen (Schätzgröße auf Basis IW Köln & ifo-Systemintegrationsstudien)

5. Institutionelles Design

  • Steuerung: Bundesverteidigungsministerium (BMVg) federführend, flankiert durch BA, BMI und BMAS
  • Aufbau von „Zukunftscamps“ (strukturelle Hybridformen aus Kaserne, Bildungsstätte, Berufsbildungszentrum)
  • Regionale Pilotprojekte (z. B. in strukturschwachen Regionen mit hoher Transferquote)
  • Einbindung kommunaler Träger und Ausbildungsnetzwerke (z. B. HWKs, IHKs)
  • Aufsicht durch ressortübergreifende Steuerungsgruppe mit parlamentarischer Kontrolle

Stufenmodell gekoppelt an Pilotprojekte:

  • Jahr 1: 15.000 Teilnehmer in 3 Modellregionen (z. B. Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Rheinland-Pfalz)
  • Jahr 2: Ausweitung auf 30.000 in 6 Bundesländern
  • Jahr 3: 50.000 Teilnehmer, bundesweite Sichtbarkeit
  • Jahr 4: 75.000 Teilnehmer, inkl. europäischer Pilotkooperationen
  • Jahr 5: 100.000+ Teilnehmer, Integration in Grundstruktur des öffentlichen Dienstes

6. Kommunikationsstrategie

Kernnarrativ: „Vom Empfänger zum Gestalter – wer für den Staat lebt, soll auch mit ihm wachsen.“
Ziel ist ein emanzipatorisches Framing, das die Transformation vom passiven Leistungsbezug zur aktiven Staatsbürgerschaft in den Vordergrund stellt und damit Anwürfe von Zwang oder Stigmatisierung entkräftet.

Stakeholder

Hauptbotschaft

Schlüsselkanäle

Taktische Formate

Bürgergeld‑Beziehende

„Du erhältst Struktur, Ausbildung, Aufstieg – kein Zwang, sondern Zukunft.“

Social Media Clips, Jobcenter‑Infotage, Streaming‑Ads

Kurzvideos „Mein Weg ins Zukunftscorps“, Peer‑Talks

Politische Öffentlichkeit

„Souveränität beginnt beim Menschen – Sicherheit & Sozialstaat werden zusammengeführt.“

Bundespressekonferenz, Leitartikel, Talkshows

Opinion Pieces, Hintergrundgespräche, Townhalls

Wirtschaft & Verbände

„Wir qualifizieren systemrelevante Fachkräfte – vom Kabelbaum bis zur Cloud.“

BDI‑Runden, Handwerkskammern, LinkedIn

Case‑Studies, Fachmessen, Podcast‑Serien

Internationale Partner

„Deutschland erfindet den Citizen‑Service 2.0 – skalierbar für EU/NATO.“

NATO StratCom, EU Defence Union, Think‑Tanks

White‑Papers, Joint Panels, Simulation‑Exercises

Phasierung (AIDA‑Logik):

  1. Awareness – Teaser‑Kampagne „#Zukunftscorps“ (KW 1–4)
  2. Interest – Reportagen & Testimonials (Monat 2–5)
  3. Desire – Recruiting‑Events & Auswahlverfahren (Monat 4–8)
  4. Action – Dienstantritt erster Kohorten (Monat 9+)

Messgrößen: Reichweite (SoMe KPI), Bewerberzahlen, Sentiment‑Analysis (Bundespresseamt), Stakeholder‑Scorecards.

7. Kritikmanagement

Risiko / Vorwurf

Präventive Maßnahme

Reaktive Maßnahme

Erfolgskennzahl

„Zwangsdienst für Arme“

klarer Verweis auf Freiwilligkeits‑/Optionscharakter & Gleichbehandlung ALG I

Fakten‑Sheet, Ombudsstelle, Sprecher aus Teilnehmenden

< 5 % negativer Tonalität in Leitmedien

„Militarisierung der Sozialpolitik“

Betonung nicht‑kinetischer Rollen (80 % San, IT, Logistik)

Live‑Einblicke in Ausbildung, Zivil‑zertifizierte Abschlüsse

> 70 % Anerkennung „zivil“ in Umfragen

gesundheitliche/familiäre Härtefälle

Medizinische & soziale Tauglichkeitsprüfung + Härtefallkommission

unbürokratische Entbindung, Ersatzangebote (Bildungsprämie)

< 1 % Schlichtungsfälle

Diskriminierung / GG Art. 3

Rechtsgutachten + Ethikbeirat

Öffentliche Hearings, periodischer Bericht an Bundestag

Kein anhängiges Verfassungs­verfahren

8. Europäischer Ausblick

  1. Pilot‑Twinning 2027: Gemeinsames deutsch‑französisches ‚Resilience Battalion‘ (Sarrebourg/Münster) – Austauschprogramme & gemeinsame Cyber‑Labs.
  2. EU‑Resilienzpakt 2028: Harmonisierung von Mindeststandards (Ausbildung, Sozialversicherung, Reserveabruf).
  3. Erasmus‑CivDef 2029: EU‑Mobility‑Scheme für Zivil‑ & Verteidigungsdienst – dienstzeitliche Anerkennung in allen Mitgliedstaaten.
  4. Multinational Rapid Relief Corps 2030: Eingreifverband für Katastrophenhilfe und hybride Bedrohungen – basierend auf vorbereiteten Zukunftscorps‑Kontingenten.

Synergie: Kombination aus Sozialfonds‑Mitteln (ESF+) und EU‑Defence Facility schafft doppelte Budgetbrücke.

9. Handlungsempfehlungen (Roadmap)

Quartal

Maßnahme

Verantwortlich

Outcome

Q4 / 2025

Kabinettsbeschluss Eckpunktepapier + Einsetzung Lenkungsgremium

BMVg/BMAS/BMI

Öffentliches Mandat & Budgetfreigabe

Q1 / 2026

Einbringung Zukunftsdienstgesetz (ZDG) in Bundestag

Regierungskoalition

1. Lesung abgeschlossen

Q2 / 2026

Ausbau von 3 Zukunftscamps (Umbau brachliegender Standorte)

BImA/BwDLZ

Infrastruktur fertig

Q3 / 2026

Pilotkohorte 5 000 Pers. rekrutiert & eingekleidet

KarrC Bw / BA

Dienstantritt 1. Oktober

Q1 / 2027

Wirkungsbericht an BT + Skalierungsbeschluss auf 15 000

Lenkungsgremium

Haushaltstitel verstetigt

Q4 / 2028

EU‑Resilienzpakt unterschrieben

AA/BMVg/EU‑Rat

Gemeinsame Standards etabliert

10. Schlusswort

Deutschland muss seine Sicherheitsarchitektur und seinen Sozialstaat neu verzahnen. Das Zukunftscorps führt Transfermittel in produktive Bahnen, schafft Fachkräfte, stärkt die Verteidigungsbereitschaft und bietet Individuen Selbstwirksamkeit statt Abhängigkeit.

Dieses Modell ist kein Rückfall in vergangene Pflichtstrukturen, sondern Ausdruck eines neuen gesellschaftlichen Vertrags: Wer Teil des staatlichen Gemeinwesens ist, kann sich aktiv einbringen – in Schutz, Versorgung, Infrastruktur und Zukunftsfähigkeit. Es entsteht ein Weg zurück in die Mitte der Gesellschaft – nicht durch Druck, sondern durch Richtung.

Gleichzeitig wird das Zukunftscorps zu einem strategischen Instrument staatlicher Handlungsfähigkeit in Zeiten systemischer Dauerkrisen: Ob Pandemie, Flut, Cyberangriff oder geopolitischer Spannungsfall – ein vorbereiteter, disziplinierter und ausgebildeter Personalkörper stärkt das Fundament der Republik.

Statt Transferabhängigkeit: strukturierter Staatsdienst. Statt Stillstand: Sicherheit durch Einsatz. Statt Fragmentierung: Gemeinsamer Auftrag. und seinen Sozialstaat neu verzahnen.

Das Zukunftscorps führt Transfermittel in produktive Bahnen, schafft Fachkräfte, stärkt die Verteidigungsbereitschaft und bietet Individuen Selbstwirksamkeit statt Abhängigkeit.

Thomas H. Stütz
Chief Global Strategist – MOC Strategic Institute

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