„Warum die geopolitische Selbsttäuschung Europas den Frieden verhindert – und wie ein strategischer Realismus aussehen muss“
Autor: Thomas H. Stütz
Chief Global Strategist
Berlin im Mai 2025
Einleitung: Ultimaten ohne Strategie
Die selbst ernannte „Koalition der Willigen“ – bestehend aus Merz, Macron, Tusk, Stamer und Selenskyj – hat jüngst ein Ultimatum an den russischen Präsidenten gestellt: Waffenruhe innerhalb von 30 Tagen oder Eskalation. Unterlegt wurde diese Drohgebärde mit dem Verweis, dies sei „mit Trump Tel. abgesprochen“.
Merz und die Sanktionsdrohung
In seiner anschließenden Pressekonferenz drohte Bundeskanzler Merz unverhohlen mit massiv verschärften Sanktionen, sollte Russland nicht zustimmen.
Doch was auf den ersten Blick nach Entschlossenheit klingt, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als geopolitisches Theater ohne tragfähige Substanz.
Währenddessen kontert Russland mit einem taktisch überlegenen Vorschlag: Friedensverhandlungen in der Türkei auf Basis der Gespräche von 2022.
Der Verdacht liegt nahe:
Die Willigen sind nicht an Frieden interessiert, sondern an einem politischen Machterhalt durch Konfliktverlängerung. Die Rollen der Akteure sind klar verteilt – und entlarvend.
Die Rollenverteilung der Gegenwart
Putins Gegenzug: Friedensvorschlag mit Erinnerungskraft
Mit dem Vorschlag, auf die Gespräche von Istanbul 2022 zurückzugreifen, entzieht sich Moskau geschickt dem westlichen Framing, es wolle keinen Frieden.
Der Vorwurf:
Nicht Russland, sondern London und Paris hätten 2022 auf Selenskyj eingewirkt, den Verhandlungspfad zu verlassen.
Auch wenn dies nicht abschließend belegbar ist, zeigen Recherchen und diplomatische Andeutungen, dass der damalige britische Premier Johnson tatsächlich alternative Interventionen verfolgt haben könnte – was zumindest als politisch störend empfunden wurde.
Die Tatsache, dass die Gespräche bereits weit fortgeschritten waren, legt nahe, dass ein Erfolg durchaus realistisch gewesen wäre. Moskau erscheint somit heute nicht nur als gesprächsbereit, sondern als historisch konsistent.
Selenskyjs Blockade – kein Wille zur Lösung
Präsident Selenskyj lehnt den Verhandlungsvorschlag Istanbuls ohne Vorbedingungen ab und pocht stattdessen auf die 30-Tage-Waffenruhe.
Dies zeigt: Es geht ihm nicht um Friedensarchitektur, sondern um operative Reorganisation, unter dem Schutzschild westlicher Militärhilfe.
Die Ukraine agiert nicht mehr souverän, sondern abhängig vom politischen Willen ihrer Geldgeber.
Europa: Hochgerüstet im Moralkostüm
Weder Frankreich noch Deutschland, Polen oder Großbritannien zeigen unter Macron, Merz, Tusk bzw. Stamer einen realpolitischen Zugang. Stattdessen: Ultimaten, Symbolpolitik und rhetorischer Schulterschluss mit Kiew – während man reale Friedensoptionen ignoriert.
Der Westen moralisiert, wo er eigentlich vermitteln müsste. Der geopolitische Realitätssinn bleibt auf der Strecke.
Trump als systemischer Wendepunkt
Trump wird sich kaum an moralisch aufgeladene Ultimaten halten. Als amtierender US-Präsident wird er dem Vorschlag Putins, die Gespräche von Istanbul 2022 wiederaufzunehmen, mit hoher Wahrscheinlichkeit folgen – nicht aus ideologischer Nähe, sondern aus strategischer Kalkulation heraus.
Trump steht nicht für Kiew, sondern für ein geopolitisches Gleichgewicht – und wird damit Druck auf Merz, Macron, Tusk und Stamer ausüben.
Die strategische Selbsttäuschung Europas
Europa verwechselt derzeit Engagement mit Eskalation, Prinzipientreue mit Realitätsflucht. Wer wie Merz, Macron, Tusk oder Stamer einen Friedensvorschlag Istanbuler Prägung ignoriert, weil er von „der falschen Seite“ kommt, verhindert aktiv Frieden.
Die Kurzsichtigkeit besteht darin, dass man glaubt, ein moralischer Sieg sei ein strategischer Sieg. Das Gegenteil ist der Fall:
Ohne Verhandlung bleibt nur Verlängerung.
Lösungsansätze: Strategischer Realismus statt Frontdenken
- Rückkehr zum Istanbul-Format als Verhandlungsgrundlage – international eingebettet, mit glaubwürdiger Vermittlung (z. B. Türkei, Indien, Brasilien).
- Entkopplung der EU-Politik vom Selenskyj-Kalkül: Europa benötigt eigene Interessen und sollte diese klar vertreten.
- Kluge Kommunikation statt Eskalationsrhetorik: Ultimaten unterminieren Friedensprozesse. Nötig ist ein Format, das Verhandlung als legitimen Machtakt darstellt.
- Trump als Friedensakteur ernst nehmen: Seine Logik ist nicht die der deutschen Staatsmoral, sondern des geopolitischen Interessenausgleichs. Das kann, richtig genutzt, ein Hebel sein.
Schlussbemerkung: Frieden ist kein moralischer Titel, sondern ein Machtformat
Europa muss sich entscheiden: Will es Akteur eines neuen Gleichgewichts sein – oder Zuschauer einer globalen Reorganisation, bei der andere verhandeln und entscheiden?
Die gegenwärtige Kurzsichtigkeit der „Willigen“ führt in die Isolation. Nur wer die Handlungsoptionen erkennt und nutzt, bleibt relevant.
Thomas H. Stütz
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